Abfindungs- und Lohnansprüche als Schadensersatz bei Insolvenz

Stand Dezember 2007

Ein aktuell veröffentlichtes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 26.07.2007 - 8 AZR 796/06) gibt Anlass zur nachstehenden Darstellung der Ansprüche von Arbeitnehmern, deren Arbeitgeber zahlungsunfähig geworden sind.

In dem vom BAG entschiedenen Fall waren in einem Unternehmen über einige Monate hinweg die Löhne jeweils mit Verspätung gezahlt worden; im Dezember wurde dann nur noch ein Teil der Löhne gezahlt, im Januar und Februar darauf blieben die Lohnzahlungen völlig aus. Anfang März teilte die Firma mit, sie sei nicht in der Lage, die ausstehenden Löhne zu zahlen. Daraufhin kündigten alle 35 Beschäftigten am 7. März selbst ihre Arbeitsverhältnisse fristlos auf. Nachdem das Insolvenzverfahren beim zuständigen Amtsgericht eröffnet worden war, meldeten die Beschäftigten bei dem vom Gericht eingesetzten Insolvenzverwalter unterschiedliche Ansprüche als Insolvenzforderung an. Das BAG hat den klagenden Arbeitnehmern im Unterschied zu den Vorinstanzen überwiegend Recht gegeben.

Aus Sicht des BAG ergeben sich aus § 628 Abs. 2 BGB für die Arbeitnehmer in der Hauptsache zwei Schadenspositionen.

1.
Die Arbeitnehmer können den vereinbarten Bruttolohn für den Ablauf einer fiktiven Kündigungsfrist bei einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung verlangen bzw. diesen Anspruch als Insolvenzforderung anmelden.

Wenn also ein seit neun Jahren beschäftigter Arbeitnehmer wegen der ausgebliebenen Lohnzahlungen selbst fristlos kündigt, ist für die Schadensberechnung die Dauer der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist heranzuziehen. Die gesetzliche Kündigungsfrist würde im Beispielsfall drei Monate zum Monatsende betragen, § 622 Abs. 2 Ziffer 3 BGB.

Bei einer fristlosen Arbeitnehmerkündigung am 07.03. wäre der Lohnausfall vom 08.03. bis 30.06. zu berechnen. Dies sind fast vier Bruttomonatslöhne.

2.
Weiter könnte der Arbeitnehmer einen Abfindungsanspruch als Insolvenzforderung anmelden, der in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG im Beispielsfall für eine neunjährige Betriebszugehörigkeit mit 4,5 Bruttomonatslöhnen anzusetzen wäre.

In der angesprochenen Entscheidung aus dem Jahre 2007 hat das BAG für den Abfindungsanspruch folgende Voraussetzungen verlangt:
a) Im Betrieb müssen ständig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sein, § 23 KSchG;

b) Der durch den Kündigungsschutz vermittelte Bestandsschutz muss verloren gehen;

c) Im Zeitpunkt der Arbeitnehmerkündigung darf für den Arbeitgeber kein Kündigungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bestanden haben.
Grundvoraussetzung für den Abfindungsanspruch ist immer, dass die Arbeitnehmer berechtigterweise ihre Arbeitsverhältnisse fristlos gekündigt haben.

Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach § 626 BGB setzt in der Regel eine vorherige Abmahnung voraus; dies gilt ausdrücklich auch für den Fall einer Kündigung durch den Arbeitnehmer. Eine vorherige Abmahnung ist aber dann verzichtbar, wenn keine Aussicht darauf besteht, den Vertragspartner mit einer Abmahnung wieder zu vertragsgemäßem Verhalten zu bewegen.

In dem eingangs geschilderten Fall hatte der Arbeitgeber erklärt, die offenen Löhne nicht mehr zahlen zu können. Eine Abmahnung hätte hier also die Wiederaufnahme der Lohnzahlungen nicht bewirken können. Das vertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers - Nichtzahlung des vereinbarten Lohnes - wäre durch eine Abmahnung, also eine Kündigungsandrohung, nicht zu beseitigen gewesen. Daher wurden die von den Arbeitnehmern ohne vorherige Abmahnung erklärten Kündigungen auch für berechtigt gehalten.

Ohne eine entsprechende Erklärung des Arbeitgebers zu seiner Zahlungsunfähigkeit muss Arbeitnehmern empfohlen werden, vor Ausspruch einer fristlosen Eigenkündigung den Arbeitgeber zur Zahlung der rückständigen Löhne aufzufordern und hierbei auch für den Fall der Nichtzahlung die fristlose Kündigung anzudrohen.

Die Rechtsprechung hält fristlose Arbeitnehmerkündigungen generell dann für berechtigt, wenn die Lohnzahlungen schon für zwei abgelaufene Monate ausgeblieben sind und auch im dritten Monat keinerlei Anzeichen für einen bevorstehenden Ausgleich der Lohnforderungen besteht.

Arbeitnehmer müssen hierbei bedenken, dass sie im Falle einer Insolvenz ihres Arbeitgebers nur für drei abgelaufene Monate aus der Vergangenheit Insolvenzgeld von der Agentur für Arbeit erhalten. Ein längeres Zuwarten über drei Monate hinaus führt unweigerlich zu finanziellen Einbußen. Die fristlose Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses zum Ende des dritten Monats ohne Lohnzahlungen ist daher immer eine überlegenswerte Option für Arbeitnehmer. Hierbei nimmt die Agentur für Arbeit zugunsten des Arbeitnehmers einen wichtigen Grund an und verzichtet auf die Verhängung von Sperrzeiten.

Die Nichtzahlung des vereinbarten Lohnes stellt eindeutig einen Vertragsverstoß des Arbeitgebers dar, so dass rechtsschutzversicherte Arbeitnehmer ohne Weiteres auf Kosten der Versicherung anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen können.

Nicht rechtsschutzversicherte Arbeitnehmer werden in sehr vielen Fällen beim Ausbleiben der Lohnzahlungen über zwei bis drei Monate hinweg ihre finanziellen Reserven aufgebraucht haben und könnten dann für die Geltendmachung ihrer Ansprüche über Prozesskostenhilfe, d. h. auf Kosten der Staatskasse, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Auch wenn die hier dargestellten Schadensersatzansprüche in einem Insolvenzverfahren kaum einmal zu 100 % erfüllt werden dürften, lohnt sich angesichts der Höhe der Forderungen gerade für mehrjährig beschäftigte Arbeitnehmer die Anmeldung auch dann, wenn die spätere Ausschüttungsquote beim Abschluss des Insolvenzverfahrens vielleicht nur 20 % beträgt.

Die Zahlungsunfähigkeit / Insolvenz des Arbeitgebers ist entgegen landläufiger Meinung für Arbeitnehmer jedenfalls kein Grund, von vorne herein alle Hoffnung auf einen zumindest teilweisen Ausgleich berechtigter Forderungen fahren zu lassen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Bundesarbeitsgericht in der hier besprochenen Entscheidung einen Abfindungsanspruch für den Verlust des Arbeitsplatzes nach § 628 Abs. 2 BGB ausdrücklich bestätigt hat.

Rechtsanwalt Gerd-Peter Brenner,
Dingeldein • Rechtsanwälte, 64404 Bickenbach
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