Arbeitsrecht

"Arbeitsrecht in der Insolvenz"

Unternehmenskrisen werden für Arbeitnehmer in der Regel dadurch bemerkbar, dass am Ende des Monats Löhne und Gehälter entweder gar nicht oder mit erheblicher zeitlicher Verzögerung gezahlt werden oder aber nur Teilauszahlungen erfolgen.

Häufig wird in solchen Situationen der Wunsch an die Belegschaft herangetragen, die nicht ausgezahlte Vergütung zu stunden oder gar auf einen Teil der Vergütung zu verzichten. Solche oft als "Sanierungsbeitrag der Belegschaft" deklarierten Bemühungen haben nach ganz allgemeiner Erfahrung nur in den allerseltensten Fällen die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen abwenden können. Solange Arbeitnehmer nicht eigene zuverlässige Erkenntnisse haben zur Verfügbarkeit weiteren flüssigen Kapitals oder verwertbarer Sicherheiten - was so gut wie nie der Fall sein wird -, kann vor entsprechenden Vereinbarungen nur gewarnt werden. Häufig erweist es sich in späteren Insolvenzverfahren als richtig, dass die Firmeninhaber bereits eigentlich gar nicht haftendes privates Vermögen eingesetzt haben, das im Falle einer Firmeninsolvenz genauso unwiederbringlich verloren ist wie die auf Stundung oder Verzicht beruhenden "Beiträge" der Angestellten.

In aller Regel sind zur Rettung eines insolventen Unternehmens ganz andere Geldbeträge notwendig als durch einen Teil der Lohnansprüche aufgebracht werden können.

Sowohl auf Arbeitnehmerseite wie auch auf Unternehmerseite wird fälschlicherweise die Insolvenz als Tod eines Unternehmens angesehen. Im Widerspruch zu dieser ebenso weit verbreiteten wie falschen Vorstellung liefert die Insolvenzordnung aber gerade das Instrumentarium, um die Heilung des schwer erkrankten Patienten (Unternehmen) auf der Intensivstation einzuleiten. Der rechtzeitige Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel vergrößert genau wie in der Medizin die Heilungschancen enorm.

Der Situation angemessene Reaktionen setzen aber voraus, dass sowohl Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber ihre gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten kennen.

Daher soll im Folgenden versucht werden, fundamentale Begriffe des nicht gerade unkomplizierten Insolvenzrechtes möglich knapp und verständlich zu erläutern, wobei die Darstellung sich auf Fragen der Firmeninsolvenz mit arbeitsrechtlichem Bezug beschränkt. Die Reihenfolge orientiert sich am Ablauf des Insolvenzverfahrens.

Antrag auf Insolvenzeröffnung:

Jeder Gläubiger, aber auch der Schuldner selbst, können bei dem für den Firmensitz zuständigen Insolvenzgericht den Antrag stellen, zum Beispiel Arbeitnehmer wegen ausgebliebener Lohnzahlungen, Krankenkassen wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge, Elektrizitätswerke wegen nicht bezahlter Stromrechnungen, aber auch der Unternehmer selbst bei angenommener oder befürchteter Zahlungsunfähigkeit.

Insolvenzgericht:

Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner / die Schuldnerin den allgemeinen Gerichtsstand hat.

Vorläufiger Insolvenzverwalter:

Die Bestellung erfolgt durch das Insolvenzgericht. In aller Regel besteht die Befugnis des vorläufigen Verwalters darin, dass alle rechtsgeschäftlichen Maßnahmen der Schuldnerin der Zustimmung des Verwalters bedürfen; ansonsten bleibt die Schuldnerin in diesem Verfahrensstadium voll handlungsfähig. Sie behält auch ihre Arbeitgeberbefugnisse.

Der vorläufige Verwalter erstellt ansonsten gutachterliche Stellungnahme für das Insolvenzgericht zu der Frage, ob das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird.

Insolvenzeröffnung:

Die Eröffnung des Verfahrens erfolgt durch Beschluss des Insolvenzgerichtes entsprechend der Empfehlung des vorläufigen Verwalters. Der vorläufige Verwalter wird in aller Regel auch zum Insolvenzverwalter bestellt. Ab diesem Zeitpunkt übernimmt er alle Befugnisse des Arbeitgebers und beschlagnahmt die Insolvenzmasse. Dies ist vereinfacht ausgedrückt das verwertbare Firmenvermögen.

Alle gegen die Insolvenzschuldnerin anhängigen Gerichtsverfahren - zum Beispiel Klagen der Arbeitnehmer wegen rückständiger Löhne - werden durch die Eröffnung unterbrochen. Eine Fortführung der Verfahren ist nur bei Aufnahme durch den Insolvenzverwalter möglich.

Insolvenzforderungen:

Vermögensansprüche der Gläubiger bei Eröffnung des Verfahrens, zum Beispiel alle offenen Lohnansprüche gegen den Arbeitgeber bis zum Tag der Insolvenzeröffnung. Diese Forderungen sind grundsätzlich auf entsprechende Aufforderung durch den Verwalter hin zur Insolvenztabelle anzumelden. Bis auf eine hier nicht zu behandelnde Besonderheit haben alle angemeldeten Insolvenzforderungen den gleichen Rang oder die gleiche Qualität. Eine Bevorzugung bestimmter Forderungen wie in der früheren Konkursordnung gibt es nicht mehr. Im Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichtes sind die Fristen aufgeführt, innerhalb derer die Insolvenzforderungen zur Tabelle angemeldet werden müssen.

Masseforderungen / Masseverbindlichkeiten:

Ansprüche, die erst nach Verfahrenseröffnung begründet werden, wie zum Beispiel die Lohnforderungen der Arbeitnehmer für erbrachte Arbeitsleistungen ab dem Tag der Insolvenzeröffnung. Wenn der Insolvenzverwalter unmittelbar nach der Eröffnung des Verfahrens den Betrieb stilllegt und die Arbeitnehmer von der Arbeit freistellt, haben diese ab dem Zeitpunkt der Freistellung Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Differenz zwischen dem bisherigen Lohn und dem Arbeitslosengeld ist eine Masseforderung und gegenüber dem Verwalter geltend zu machen.

Schließt der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat wegen der Stilllegung des Betriebes einen Sozialplan ab, sind die Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer aus dem Sozialplan ebenfalls Masseforderungen.

Insolvenzgeld:

Arbeitnehmer haben gegenüber der Agentur für Arbeit Anspruch auf Zahlung ihrer Lohnforderungen, die der Arbeitgeber in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor der Insolvenzeröffnung nicht zahlen konnte. Der Anspruch besteht auch dann, wenn der Antrag auf Insolvenzeröffnung mangels Masse abgelehnt wurde oder der Arbeitgeber den Betrieb einfach stillgelegt hat, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Höhe nach entspricht das Insolvenzgeld dem vollen Lohnanspruch.

Der Zeitraum von drei Monaten Lohnausfall kann beliebig weit vor dem Insolvenztag liegen; das Arbeitsverhältnis muss am Insolvenztag nicht mehr bestehen. Auch solche Arbeitnehmer, die schon ein Jahr oder länger vor Insolvenzeröffnung aus dem Betrieb ausgeschieden sind, erhalten Insolvenzgeld, wenn aus den letzten drei Monaten ihres beendeten Arbeitsverhältnisses noch offene Lohnforderungen bestehen.

Insolvenzgeld kann nicht beansprucht werden aus Lohnforderungen, die nach Insolvenzeröffnung entstanden sind.

Kündigung bei Insolvenz:

Der Insolvenzantrag oder auch die Insolvenzeröffnung sind für sich genommen keine anerkannten Gründe für eine Arbeitgeberkündigung. Wenn der zahlungsunfähige Arbeitgeber oder der Insolvenzverwalter allerdings die Entscheidung treffen, den Betrieb stillzulegen, handelt es sich um einen klassischen Kündigungsgrund. In Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten muss vor Ausspruch von Kündigungen mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen werden. Ist kein Betriebsrat von der Belegschaft gewählt worden, entfällt diese Verpflichtung mit der Folge, dass keine Abfindungsansprüche aus einem Sozialplan entstehen können.

Beim Ausbleiben der Lohnzahlungen kann die Situation eintreten, dass Arbeitnehmern zur fristlosen Eigenkündigung geraten wird. Diese Empfehlung kann dann gegeben werden, wenn

a. der Lohnrückstand drei Monatseinkommen umfasst,
b. noch kein Insolvenzantrag gestellt ist oder über diesen noch nicht entschieden wurde,
c. Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt wird.
Diese Kriterien müssen alle erfüllt sein, bevor einem Arbeitnehmer zu einer fristlosen Eigenkündigung geraten wird.

Auch wenn die Arbeitsverwaltung bei einer fristlosen Eigenkündigung wegen eines dreimonatigen Lohnrückstandes keine Sperrzeit verhängt, sollten Arbeitnehmer vor einem solchen Schritt unbedingt fachliche Beratung bei einem Rechtsanwalt oder bei ihrer Gewerkschaft in Anspruch nehmen.

Durch die Eigenkündigung verliert der Arbeitnehmer jede Chance auf Weiterbeschäftigung, wenn der zahlungsunfähige Betrieb von einem anderen Unternehmer übernommen wird.

Die nachstehenden Schaubilder enthalten eine schematische Darstellung, wobei in dem Schaubild 1 der Sachverhalt unterstellt wird, dass der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Verfahrens einen Betrieb an einen Erwerber verkauft und dieser den Betrieb fortführt.

Schaubild 1
Zeitraum / Datum Art der Forderung Schuldner Bemerkungen
01.01.2007 - 31.03.2007 Insolvenzforderungen Insolvenzmasse bei Insolvenz-verwalter anzumelden
01.04.2007 - 30.06.2007 Insolvenzgeld Agentur für Arbeit bei Agentur für Arbeit beantragen; Frist zwei Monate
01.07.2007 Beschluss über Eröffnung des Insolvenzverfahrens
01.07.2007 - 30.09.2007 Masseverbindlichkeiten Insolvenzmasse
Insolvenzverwalter
Verwalter und Erwerber als Gesamtschuldner
01.10.2007 Verkauf des Betriebes durch Insolvenzverwalter
01.10.2007 und danach vertraglicher Lohn- anspruch in identischer Höhe wie vor Insolvenz, § 613 a BGB. Betriebserwerber  


In dem Schaubild 2 ist die Variante dargestellt, dass nach Insolvenzeröffnung die Entscheidung zur Betriebsschließung getroffen wird.

Schaubild 2
Zeitraum / Datum Art der Forderung Schuldner Bemerkungen
01.01.2007 - 31.03.2007 Insolvenzforderungen Insolvenzmasse zur Tabelle anzumel-den
01.04.2007 - 30.06.2007 Insolvenzgeld Agentur für Arbeit Frist, zwei Monate
01.07.2007 Insolvenzeröffnung, Entscheidung zur Betriebsschließung, Freistellung aller Arbeitnehmer und Kündigung
01.07.2007 - Ablauf Kündigungs-frist, max. 3 Monate spätestens 31.10. ALG I
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Differenz zwischen Bruttogehalt und ALG
Agentur für Arbeit
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Insolvenzverwalter
ab Antragstellung
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Masseverbindlich-keiten, Geltend-machung beim Verwalter
15.07.2007 Abschluss SP Insolvenzverwalter und Betriebsrat Sozialplanabfindung = Masseverbindlichkeit Insolvenzmasse / Insolvenzverwalter Auszahlung erst nach Abschluss der Insolvenzverfahren, Masseverbindlich-keiten gehen Insolvenzforderungen vor


Rechsanwalt Gerd-Peter Brenner
Stand: April 2007

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