Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen, Betriebsübergängen und in der Insolvenz

(10.12.2002)

Die derzeitige wirtschaftliche Lage zwingt Unternehmen verstärkt zur Durchführung von Betriebsänderungen. Zu gegebener Zeit nicht durchgeführte Betriebsänderungen haben nicht selten wirtschaftlich erzwungene Übernahme von Unternehmen durch Konkurrenten oder gar die Insolvenz zur Folge.

Sobald die Notwendigkeit erkannt wird, Betriebsstrukturen an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen, muss je nach Betriebsgröße die Frage geprüft werden, ob und gegebenenfalls wie der Betriebsrat als gewählte Vertretung der Belegschaft an unternehmerischen Planungen zu beteiligen ist.

Das Betriebsverfassungsgesetz in der seit dem 28.07.2001 geltenden Fassung sieht in § 111 vor, dass in allen Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern geplante Betriebsänderungen, die zu wesentlichen Nachteilen für die Belegschaft oder erheblichen Teile der Belegschaft führen können, rechtzeitig und umfassend mit dem Betriebsrat zu beraten sind. Hierbei dürfte in den meisten Fällen im Mittelpunkt des Interesses die Frage stehen, ob im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsänderung ein Sozialplan abzuschließen ist.

Grundvoraussetzung für die beschriebene Informations- und Beratungspflicht ist, dass im Zeitpunkt der unternehmerischen Beschlussfassung über eine Betriebsänderung bereits ein Betriebsrat besteht und nicht etwa erst aus diesem Anlass gewählt wird.

Betriebsräte können grundsätzlich gewählt werden in allen Betrieben der Privatwirtschaft mit mindestens fünf ständig beschäftigten, volljährigen Arbeitnehmern. Betriebsräte sind die demokratisch gewählte Vertretung der Belegschaft. Folglich sind Einleitung und Durchführung von Betriebsratswahlen einzig und allein vom Wollen und Handeln der Arbeitnehmer abhängig. Den Arbeitgeber trifft keinerlei Verpflichtung, für die Bildung von Betriebsräten zu sorgen.

Mit dem Betriebsrat zu beratende Betriebsänderungen können in folgenden Maßnahmen bestehen:

1.
Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen

2.
Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen,

3.
Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben,

4.
Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen,

5.
Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.

In der Praxis nimmt die Betriebsänderung in Form des Personalabbaus gegenüber den anderen Erscheinungsformen den größten Raum ein.

Von besonderem Interesse ist hierbei, ob der Betriebsrat als Arbeitnehmervertretung für die von einer Betriebsänderung betroffenen Mitarbeiter einen Sozialplan abschließen kann.

Ein Sozialplan ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Firmenleitung und Betriebsrat zum Ausgleich oder zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die den von einer Betriebsänderung getroffenen Arbeitnehmern entstehen.

Kernstück eines jeden Sozialplans sind Regelungen über die Höhe von Abfindungen, welche für den Verlust des Arbeitsplatzes an ausscheidende Mitarbeiter zu zahlen sind.

Eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zum Abschluss von Sozialplänen besteht abhängig von der Betriebsgröße in folgenden Fällen:
Betriebsgröße

beabsichtigter Personalabbau

weniger als 60 Arbeitnehmer 20 %, mindestens aber 6 Arbeitnehmer
60 - 249 Arbeitnehmer 20 %, mindestens aber 37 Arbeitnehmer
250 - 500 Arbeitnehmer 15 %, mindestens aber 60 Arbeitnehmer
ab 500 Arbeitnehmer 10 %, mindestens aber 60 Arbeitnehmer


Der Interessenausgleich ist ebenfalls eine Vereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat. Gegenstand der Vereinbarung ist, ob und wie, d.h. zu welchem Zeitpunkt, in welchem Ausmaß und in welcher Form eine geplante Betriebsänderung durchgeführt wird. Beispielsweise kann im Interessenausgleich festgelegt werden, wie viele Arbeitnehmer aus bestimmten Betriebsabteilungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes mit welchen Kündigungsfristen entlassen werden sollen.

Die Beratungspflicht und die Verpflichtung, den Abschluss eines Interessenausgleiches mit dem Betriebsrat zu versuchen, besteht bei geplanten Betriebsänderungen in folgenden Fällen:
Betriebsgröße

Beabsichtigter Personalabbau

21 - 59 Arbeitnehmer 6 Arbeitnehmer
60 - 499 Arbeitnehmer mehr als 25 Arbeitnehmer oder 10 %
500 - 600 Arbeitnehmer mindestens 30 Arbeitnehmer
ab 601 Arbeitnehmer mindestens 5 %


Ein zwischen Firmenleitung und Betriebsrat erreichter Interessenausgleich bietet in der Praxis die größtmögliche Planungssicherheit für das Unternehmen für die "gerichtsfeste" Umsetzung einer Betriebsänderung. Der Sozialplan wiederum gibt den betroffenen Arbeitnehmern einklagbare Ansprüche auf Abfindungszahlungen zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile.

Bei der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf andere Unternehmen, beispielsweise durch Verkauf, gilt nach § 613 a BGB der Grundsatz, dass die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber übergehen. Gerade wegen dieses gesetzlichen Schutzes wird in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung überwiegend die Auffassung vertreten, dass ein Betriebsübergang für sich genommen keine Betriebsänderung darstellt und die Bestimmungen über Interessenausgleich und Sozialplan im Sinne von §§ 111, 112 Betriebsverfassungsgesetz unbeachtet bleiben können, da wesentliche Nachteile für die Belegschaft nicht eintreten.

In der Praxis des Arbeitslebens erweist sich aber, dass gerade anlässlich von Unternehmensübertragungen außerordentlich häufig der Versuch unternommen wird, Betriebsänderungen durchzuführen. Es kommt vor, dass der Veräußerer oder der Erwerber grundsätzlich neue Arbeitsmethoden einführen wollen oder dass der Eine oder Andere einen Personalabbau durchführt. Ebenfalls kommt es vor, dass der Erwerber den Betrieb an einen anderen Standort verlegt oder mit einem eigenen Betrieb zusammenschließt.

In all diesen Fällen bejaht auch die Rechtsprechung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Verpflichtung der Betriebsparteien, über Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln. Im Zweifel stehen hierbei sowohl Betriebsveräußerer sowie auch Betriebserwerber in der Pflicht.

Die Regelungen der §§ 111 bis 113 Betriebsverfassungsgesetz gelten auch im I nsolvenzverfahren. Da die Arbeitgeberfunktion auf den Insolvenzverwalter übergeht, hat dieser die gleichen Verpflichtungen bei der Planung und Durchführung von Betriebsänderungen, insbesondere bei Personalabbau oder gar Betriebsstilllegung.

Der Gesetzgeber hat dem Insolvenzverwalter lediglich einige Erleichterungen eingeräumt, welche aber im wesentlichen in Fristenregelungen zur Beschleunigung des Verfahrens bestehen. Der gesetzgeberische Grundsatz, dass Betriebsänderungen im Sinne des § 111 Betriebsverfassungsgesetz vor ihrer Umsetzung rechtzeitig und umfassend mit dem Betriebsrat zu beraten sind und ihre Durchführung gegebenenfalls in einer schriftlichen Vereinbarung (Interessenausgleich / Sozialplan) festzuhalten ist, gilt auch in der Insolvenz.

Sobald festgestellt wird, dass unternehmerische Planungen die Voraussetzungen einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 Betriebsverfassungsgesetz erfüllen, setzt die Verpflichtung ein, den Betriebsrat umfassend zu unterrichten und die geplante Betriebsänderung mit ihm zu beraten. Bereits in diesem Stadium ist die Entscheidung zu treffen, ob mit dem Betriebsrat Verhandlungen über den Versuch eines Interessenausgleiches aufgenommen werden und ein Sozialplan abzuschließen ist.

Die Nichtbeachtung oder nicht ordnungsgemäße Durchführung der gesetzlich festgelegten Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrates kann zu erheblichen rechtlichen Risiken führen, namentlich der gerichtlichen Feststellung, dass bestimmte Maßnahmen rechtswidrig sind. Sie kann aber auch die Durchführung wichtiger unternehmerischer Maßnahmen allein dadurch gefährden, dass im Betrieb erhebliche Unruhe entsteht und sich das Betriebsklima verschlechtert. Der Erfolg einer unternehmerischen Konzeption kann insgesamt gefährdet werden. Hinzu tritt, dass die Durchführung von Betriebsänderungen ohne eine gesetzmäßige Beteiligung des Betriebsrates zu Schadensersatzforderungen der Arbeitnehmer führen kann in Form des Anspruchs auf Nachteilsausgleich nach § 113 Betriebsverfassungsgesetz.

Die Kenntnis der Vorschriften und der sichere Umgang mit den gesetzlich geregelten Verfahrensabläufen sind gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche und zielführende Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat. Der rechtliche Bestand bestimmter Maßnahmen wiederum ist nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers abhängig von dem Zusammenwirken der Betriebsparteien.

Bickenbach, den 10.12.2002
Rechtsanwalt Gerd-Peter Brenner, Dingeldein Rechtsanwälte

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