Neues zum Verkehrsunfallrecht

Die Schadensnovelle 2002 und das ab 01.08.2002
geltende neue Schadensersatzrecht


Die folgenden Ausführungen sollen einen groben Überblick über die wesentlichen Änderungen im Schadensersatzrecht, bzw. im Verkehrsunfallrecht geben. Nach Art. 12 des Änderungsgesetzes i. V. m. Art. 229 EGBGB gilt das neue Schadensrecht für alle Unfälle, die sich ab dem 01.08.02 ereigneten.

I. Änderungen im StVG

1. Streichung des Unabwendbarkeitsnachweises in § 7 Abs. 2 StVG
Bei der Gefährdungshaftung des § 7 StVG hatte der nach § 7 Abs.1 StVG haftende Fahrzeughalter die Möglichkeit seine Ersatzpflicht gem. § 7 Abs. 2 StVG auszuschließen, wenn er beweisen konnte, dass der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde und damit unabwendbar war. Diese Möglichkeit eines Unabwendbarkeitsnachweises lässt der Gesetzgeber ab dem 01.08.02 entfallen.

Eine Halterhaftung nach § 7 StVG kann in Zukunft nur noch dann ausgeschlossen werden, falls die Ursache des schädigenden Ereignisses auf eine "höhere Gewalt" zurückzuführen ist.

Die "höhere Gewalt" wird vom BGH definiert als "ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist" (BGHZ 7, 338; BGH NJW 86, 2313).

2. Regelung des unabwendbaren Ereignisses in § 17 StVG
Der in dem neu strukturierten § 17 StVG normierte Ausgleich mehrerer Haftpflichtiger erhielt mit dem § 17 Abs. 3 S.1 StVG n. F. einen neuen A usschlussgrund in der Gestalt, dass die Ausgleichspflicht mehrerer haftpflichtiger Fahrzeughalter nach § 17 Abs.1 u. Abs. 2 StVG ausgeschlossen ist, wenn der Unfall durch ein "unabwendbares Ereignis" verursacht wurde.
Der bis zum 01.08.2002 in § 7 Abs. 2 StVG geregelte Haftungsausschlussgrund des "unabwendbaren Ereignisses" wird folglich nicht vollkommen aus dem StVG gestrichen.
Durch die Regelung des Haftungsausschlussgrundes des "unabwendbaren Ereignisses" in § 17 Abs. 3 S.1 StVG n. F. und dem der "höheren Gewalt" in § 7 StVG bezweckt der Gesetzgeber eindeutig die Klarstellung, dass den Fahrzeugfahrern gegenüber Kindern keine Entlastungsmöglichkeit gegeben werden darf. Denn nach der Definition des BGH zum Begriff der "höheren Gewalt" wird ein zum Unfall führendes Verhalten eines Kindes in den meisten Fällen keine "höhere Gewalt" im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG darstellen können.
Im Gegensatz dazu soll durch die Gesetzesänderungen in den §§ 7, 17 Abs. 3 StVG dem vorschriftstreuen "Musterfahrer" die Möglichkeit erhalten bleiben, bei Unfällen zwischen mehreren Fahrzeugen seine Haftung, bzw. Ausgleichspflicht durch den Beweis eines "unabwendbaren Ereignisses" auszuschließen.

Die Möglichkeit sich von der Ausgleichpflicht des § 17 Abs.1, 2, Abs.3 S.1 n. F. befreien zu können bleibt jedoch nicht nur den Fahrzeughaltern vorbehalten, die auch gleichzeitig Eigentümer des Fahrzeugs sind. Gem. § 17 Abs.3 S. 3 StVG n. F. hat nun auch ein Kfz- Halter, der nicht Eigentümer des Fahrzeugs ist (z.B. beim Fahrzeugleasing), die Möglichkeit sich von der Haftung zu befreien, wenn er von dem Eigentümer des gegnerischen Unfallfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.

3. Allgemeine Halterhaftung für Insassen
Für alle Unfälle, die sich nach dem 01.08.02 ereigneten, gilt die Gefährdungshaftung des § 7 StVG ohne Rücksicht darauf, ob sich der Geschädigte im oder außerhalb des Kfz aufgehalten hat. Die Halterhaftung für Insassen gilt unabhängig davon, ob die Beförderung geschäftsmäßig, entgeltlich oder unentgeltlich erfolgte. Gemäß § 8a StVG darf ein Haftungsausschluss mit unentgeltlich beförderten Personen vereinbart werden.

4. Halterhaftung beim Anhänger auch ohne unmittelbare Unfallbeteiligung
Der Halter eines Anhängers haftet in Zukunft gem. § 7 Abs.1 StVG n. F. neben dem Halter des Zugfahrzeugs. Egal ist dabei, ob der Anhänger lediglich eine Ursache für den Unfall war oder ob er den Schaden selbst durch eine Kollision verursacht hat. Der Grund für die einheitliche Haftung von Zugfahrzeug und Anhänger ist darin zu sehen, dass von ihnen gemeinsam eine gesteigerte Betriebsgefahr über die jeweils einzelne Betriebsgefahr ausgeht.

Der Halter des Zugfahrzeugs und der Halter des Anhängers haften dem Geschädigten im Außenverhältnis als Gesamtschuldner, wenn der Unfall alleine durch den Fahrer des Zugfahrzeugs verursacht wurde. Im Innenverhältnis kann der Halter des Anhängers gem. §§17 Abs. 4, 18 Abs. 3 StVG n. F. vom Halter des Zugfahrzeugs und dessen Haftpflichtversicherung Regress verlangen.

Der Halter eines Anhängers haftet auch, wenn es zu einem Unfall durch den alleine abgestellten Anhänger kam oder weil der Anhänger sich vom Zugfahrzeug gelöst hat.
Eine Halterhaftung für einen Anhänger ist ausgeschlossen, wenn der Anhänger nur dafür bestimmt ist, von einem Fahrrad gezogen zu werden. Die Haftung eines Anhängerhalters ist ferner ausgeschlossen bei "höherer Gewalt" gem. § 7 Abs. 2 StVG n. F., bei unbefugter Benutzung des Anhängers gem. § 7 Abs. 3 StVG n. F., bei Verbindung mit einem langsam (unter 20 km/h) fahrenden Fahrzeug gem. § 8 Nr.1 StVG n. F. und bei der Beschädigung einer beförderten Sache.

5. Geänderte Haftungshöchstgrenzen des StVG

Gesetz Unfälle bis 31.07.02 Unfälle ab 01.08.02
§ 12 StVG

- Tötung / Verletzung eines Menschen ( Abs.1 Nr.1)

- Tötung / Verletzung mehrer Menschen ( Abs.1 Nr.2)

- Sachschaden (Abs.1 Nr.3)

 

500.000 DM od. 30.000 DM/ Jahr

750.000 DM od. 45.000 DM/ Jahr

100.000 DM

 

600.000 DM od. 36.000 €/ Jahr

3 Mio. € od. 180.000 €/ Jahr

300.000 €
§ 12a StVG Gefahrguttransporter

- Tötung / Verletzung eines Menschen

- Tötung/ Verletzung mehrer Menschen

- Sachschaden an Immobilie

- Sonstiger Sachschaden

 

500.000 DM od. 30.000 DM/ Jahr

750.000 DM od. 45.000 DM/ Jahr

100.000 DM

100.000 DM

 

600.000 DM od. 36.000 €/ Jahr

6 Mio. € od. 360.000 €/ Jahr

6 Mio. €

300.000 €
§12b StVG (Gleiskettenfahrzeug) Siehe § 12 StVG keine Begrenzung
§ 9 Haftpflichtgesetz 30.000 DM/ Jahr 600.000 € od. 36.000 €/ Jahr
§ 10 Haftpflichtgesetz 100.000 DM 300.000 €


Quelle: Verkehrsrecht aktuell 05/ 2002

II. Änderungen im BGB

1. Schmerzensgeld bei Gefährdungs- und Vertragshaftung
Der § 847 BGB wird aufgehoben. Dafür gibt es mit § 253 Abs.2 BGB n. F. einen allgemeinen Schmerzensgeldanspruch, der wie folgt lautet:

"Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangt werden."

Der allgemeine Schmerzensgeldanspruch in § 253 Abs.2 BGB n. F. erfasst ab dem 01.08.02 neben der bisher außervertraglichen Verschuldenshaftung nun auch die Gefährdungshaftung und die Vertragshaftung (Arzthaftungsrecht).

Die Exkulpationsmöglichkeit bei § 831 BGB entfällt.

Für das Straßenverkehrsrecht hat der Gesetzgeber erstmals einen Schmerzensgeldanspruch in § 11 StVG geregelt, mit dem der Gesetzgeber zum ersten mal im Verkehrsrecht einen Schmerzensgeldanspruch in der Gefährdungshaftung begründet, und der wie folgt lautet:

"Wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann auch eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden."

Im Rahmen einer Prüfung eines Schmerzensgeldanspruchs ist damit eine Feststellung des Verschuldens des Unfallgegners nicht mehr notwendig. Hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldanspruchs bleibt die Verschuldensfrage jedoch sehr bedeutsam. Das Verschulden des Unfallgegners an dem Verkehrsunfall ist nämlich neben der Art, der Schwere und der Dauer der unfallbedingten Verletzungen ein wesentliches Kriterium für die Höhe des immateriellen Schadensersatzanspruchs.

Aufgrund der Gefährdungshaftung der §§ 7, 11 StVG n. F. kann bei Unfällen, die sich nach dem 01.08.02 zugetragen haben, eine Klage auf Schmerzensgeld nicht nur gegen den Fahrer und die Haftpflichtversicherung, sondern nun auch gegen den unschuldigen Fahrzeughalter erhoben werden. Denn der Antrag auf immateriellen Schadenersatz aus reiner Gefährdungshaftung kann zukünftig wegen des Wegfalls des Erfordernisses eines Verschuldens gegen alle Beteiligten gerichtet werden.
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls hat daher allein aufgrund der Betriebsgefahr nach §§ 7, 11 StVG n. F. einen Schmerzensgeldanspruch. Diesbezüglich muss er ein Verschulden weder behaupten noch beweisen.
Ein Verschulden des Unfallgegners ist durch den Geschädigten aber dann darzulegen und zu beweisen, wenn es um die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs geht.
Das Verschulden des Unfallgegners ist folglich relevant, wenn es um die genaue Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs geht. Hierbei ist nämlich der jeweilige Verursachungsbeitrag, bzw. die sich aus § 17 Abs. 1 u. Abs.2 StVG ergebende Haftungsquote in die Berechnung der Höhe des Schmerzensgeldanspruchs mit einzubeziehen.

Dem schädigenden Unfallgegner steht gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB gegenüber dem Schmerzensgeldanspruch aus den §§ 7, 11 StVG der Einwand des Mitverschuldens zu. Dahingehend ist der Unfallgegner aber darlegungs- und beweispflichtig.

Nach dem § 288 BGB n. F. können für den Schmerzensgeldanspruch Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszinssatz gefordert werden.

2. Schmerzensgeld bei Unfällen mit Kindern
Gemäß § 828 Abs.1 BGB sind Kinder bis zum vollendeten 7. Lebensjahr für verursachte Schäden nicht verantwortlich. Nach dem § 828 Abs.2 BGB n. F. ist ein Kind, welches das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, für den Schaden nicht verantwortlich, den es bei einem Unfall mit einem PKW einem anderen zugefügt hat. Die Folge ist, dass ein Kfz- Fahrer in Zukunft bei einem Verkehrsunfall mit einem noch nicht 10 Jahre alten Kind kein Schmerzensgeld beanspruchen kann.

Handelte das bereits 7 aber noch nicht 10 Jahre alte Kind vorsätzlich, so haftet es gem. § 828 Abs.2 S.2 BGB n. F. für die von ihm verursachten materiellen Schäden und hat immateriellen Schadensersatz leisten, wenn die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses zur Verfügung stand.

Der neue § 828 BGB ist gem. § 254 BGB und § 9 StVG auch bei einem Mitverschulden eines Kindes zu berücksichtigen, welches das 7., nicht aber das 10. Lebensjahr vollendet hat. Wenn ein Kind zwischen 7 und 10 Jahren einen Unfall verursacht und sich dabei auch erheblich verletzt hat, dann kann im Gegensatz zur alten Rechtslage dem Kind ein Mitverschulden nicht mehr angelastet werden. Der Schädiger haftet in diesem Fall alleine, falls er nicht gem. § 7 StVG n. F. Umstände darlegt und beweist, die das Vorliegen einer "höhere Gewalt" bejahen.

Falls die Haftung eines Kindes gem. § 828 Abs.1 oder Abs.2 BGB n. F. ausgeschlossen sein sollte, besteht immer noch die Möglichkeit gem. § 832 BGB gegen den Aufsichtspflichtigen vorzugehen und gegen ihn einen Schadensersatzanspruch und damit auch einen Schmerzensgeldanspruch geltend zu machen. Wenn das Vorgehen gegen den Aufsichtspflichtigen ebenfalls kein Erfolg versprechen sollte, ist nach. § 829 BGB eine Billigkeitshaftung noch möglich.

3. Schmerzensgeld bei Bagatelleverletzungen
Der Gesetzgeber hat im Gesetzgebungsverfahren klargestellt, dass ein immaterieller Schadensersatzanspruch bei Bagatelleverletzungen nicht in Betracht kommen soll (BT- Drucksache 14/ 7752 S.6 und BT- Drucksache 14/ 8780 S.6).
Einen Schmerzensgeldanspruch soll es demnach bei folgenden Verletzungen nicht mehr geben:

  • Schleimhautentzündungen
  • oberflächliche Weichteilverletzungen, wie z.B. Prellungen, Schürf- und Schnittwunden
  • leichtere Verletzungen des Bewegungsapparates
  • Kopfschmerzen
  • nicht objektivierbare leichte HWS- Verletzungen ersten Grades
Diese Auflistung einiger Beispielsfälle für Bagatelleverletzungen wurde nicht in das Gesetz mitaufgenommen. Nach der Gesetzesbegründung (BT- Drucksache 14/ 8780 S.6) ist die Judikative nun aufgefordert ein Schmerzensgeld in Bagatellefällen abzulehnen, zumal die Anerkennung eines Schmerzensgeldes in solchen Fällen nicht der "Billigkeit" i. S. d. § 253 Abs.2 BGB n. F. entspreche.

Hier bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung tatsächlich bei Bagatelleverletzungen kein Schmerzensgeld zuerkennt, und ob die Haftpflichtversicherungen aus betriebswirtschaftlichen Aspekten bei Bagatelleverletzungen Schmerzensgelder zwischen 100 € und 300 € zahlen oder sich auf ein gerichtliches Verfahren einlassen werden.

4. Kein Ersatz der Umsatzsteuer bei abstrakter Schadensberechnung
Unabhängig davon, ob tatsächlich Kosten für die Reparatur eines beschädigten Fahrzeugs entstanden sind, darf der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB n. F. abstrakt seinen Schaden abrechnen. Gem. § 249 Abs.2 S.2 BGB n. F. wird in Zukunft die fiktive Umsatzsteuer jedoch nicht mehr ersetzt. Die Umsatzsteuer wird nur dann ersetzt, wenn sie tatsächlich bis zur wirtschaftlich gebotenen Wiederherstellung angefallen ist. Im Rahmen einer abstrakten Schadensregulierung auf Gutachterbasis kann der Geschädigte daher nur noch den Ersatz der Nettoreparaturkosten verlangen.

5. Vereinheitlichung der Haftung bei falschen Gerichtsgutachten
Gemäß dem neuen § 839a BGB haftet ein Sachverständiger in Zukunft für die, aufgrund der auf dem unrichtigen Gutachten beruhenden Gerichtsentscheidung, einer Partei entstandenen Schäden , wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet hat. Durch § 839a BGB werden sowohl die Fälle erfasst, in denen er grundsätzliche technische Gesetzesmäßigkeiten außer Betracht lässt, als auch die Fälle, in denen er beispielsweise an einem vorsätzlichen Versicherungsbetrug mitwirkt.

Um einen Sachverständigen aber haftbar zu machen, muss die geschädigte Partei alles unternommen haben, insbesondere alle möglichen Rechtsmittel eingelegt und Einwände gegen das streitige Gutachten erhoben haben, um den Schaden abzuwenden.

Rechtsanwalt Sami Saleh
Bickenbach, den 12.11.2002

 

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