Der Pflichtteilsanspruch

Nicht immer erfüllt sich die Hoffnung, Erbe eines verstorbenen nahen Familienangehörigen geworden zu sein. Dann wird häufig die Frage aufgeworfen, ob jedenfalls ein gesetzlicher Mindestanspruch – der Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil – besteht.

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über zentrale Fragen des Pflichtteilsrechts.

Das Grundgesetz garantiert jedem Erblasser die Testierfreiheit. Der Erblasser kann deshalb letztwillig grundsätzlich frei bestimmen, wer sein Vermögensnachfolger werden soll. Aufgrund der über den Tod hinausgehenden Sorgfaltspflicht des Erblassers gegenüber nahen Familienangehörigen sollen diese aber einen Mindestanteil am Nachlass geltend machen können, wenn der Erblasser die von seiner Vermögensnachfolge letztwillig ausgeschlossen hat. Diesen Mindestanspruch naher Familienangehöriger auf Beteiligung am Nachlass wird Pflichtteil genannt. Der Pflichtteil besteht dabei nicht in einem Anspruch auf Herausgabe oder Übertragung eines Teils der Nachlassgegenstände, sondern in einem Geldanspruch, der gegen den oder die Erben gerichtet ist.

 

Der Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen.

Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge, der Ehegatte – ihm gleichgestellt ist der gleichgeschlechtliche Lebenspartner, wenn eine Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz begründet worden ist – und die Eltern des Erblassers. Den Eltern steht freilich nur dann ein Pflichtteilsrecht zu, wenn keine näheren Abkömmlinge (Kinder) des Erblassers vorhanden sind. Entferntere Abkömmlinge (Enkel) sind nur pflichtteilsberechtigt, wenn dasjenige Kind des Erblassers, das die Verwandtschaft zwischen Erblasser und Enkel vermittelt, bereits vor dem Tod des Erblassers verstorben ist. Hingegen gehören weder die Geschwister, noch die Großeltern zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen.

Zu den Abkömmlingen des Erblassers gehören neben den ehelichen Kindern auch die als Kind angenommenen Kinder (Adoptivkinder). Nichteheliche Kinder der Mutter sind ebenfalls uneingeschränkt pflichtteilsberechtigt. Für nichteheliche Kinder des Vaters ist zu unterscheiden:

Sind sie vor dem 01.07.1949 geboren, besteht im Normalfall keine Pflichtteilsberechtigung. Danach geborene Kinder sind grundsätzlich ebenso wie eheliche Kinder pflichtteilsberechtigt.

Eltern des Erblassers sind auch die Adoptiveltern. Die Eltern eines nichtehelichen Kindes sind grundsätzlich ebenfalls pflichtteilsberechtigt, der Vater eines nichtehelichen Kindes im Normalfall nur, wenn das Kind nach dem 01.07.1949 geboren wurde.

Ehegatten sind nicht pflichtteilsberechtigt, wenn der Erblasser die Ehescheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte und die Voraussetzungen für die Scheidung vorlagen.

 

Der konkrete Pflichtteilsanspruch.

Einen Pflichtteilsanspruch hat nur derjenige aus dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten, der aufgrund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers (Testament oder Erbvertrag) nicht Erbe geworden ist, ohne diese letztwillige Verfügung jedoch zum richtigen Erben berufen gewesen wäre, also enterbt ist.

Die Enterbung muss nicht ausdrücklich angeordnet sein, sondern kann sich auch daraus ergeben, dass der Erblasser seinen gesamten Nachlass durch Verfügung von Todes wegen anderen Personen unter Übergehung des Pflichtteilsberechtigten zugewendet hat.

Kein Pflichtteilsrecht hat dagegen derjenige, der auf das Erbe wirksam verzichtet hat, beispielsweise, weil ihm bereits zu Lebzeiten des Erblassers ein besonders wertvoller Vermögensgegenstand übertragen worden ist.

 

Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs.

Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs ist zunächst abhängig von der Höhe der gesetzlichen Erbquote. Von dieser beträgt der Pflichtteil die Hälfte.

Der Pflichtteilsberechtigte soll also die Hälfte dessen als Pflichtteil erhalten, was er erhalten hätte, wenn er ohne Enterbung von Gesetzes wegen zum Erben berufen gewesen wäre. Diesen so ermittelten Wert wird als Pflichtteilsquote bezeichnet.

Die konkrete Höhe des Pflichtteilsanspruchs wird dann unter Anwendung der Pflichtteilsquote auf den Nachlasswert ermittelt.

 

Die Pflichtteilsergänzung.

Hat der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen vorgenommen, ist sein im Erbfall vorhandenes Vermögen um diese Schenkungen vermindert. Da sich der ordentliche Pflichtteilsanspruch aus dem realen, zum Todeszeitpunkt vorhandenen Nachlass errechnet, könnte der Erblasser in die Versuchung geraten, die Rechte des Pflichtteilsberechtigten zu schmälern, indem er zu Lebzeiten durch Schenkungen den Nachlasswert verringert.

In dieser Situation hilft das Gesetz dem umgangenen Pflichtteilsberechtigten. Es gewährt ihm einen ebenfalls auf Geldzahlung geregelten Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe des Betrages, um den sich der Pflichtteil erhöht hätte, wenn der verschenkte Gegenstand wertmäßig dem Nachlass hinzugerechnet worden wäre.

Bei einem Pflichtteilsergänzungsanspruch handelt es sich um einen unabhängig vom ordentlichen Pflichtteil bestehenden eigenen Anspruch.

 

Welche Schenkungen unterfallen der Pflichtteilsergänzung?

Dem Ergänzungspflichtteil unterliegen nur Schenkungen, die der Erblasser in einem Zeitraum von 10 Jahren vor seinem Tod gemacht hat. Handelt es sich um eine Schenkung an den Ehegatten, beginnt die Zehn-Jahres-Frist freilich nicht vor Auflösung der Ehe. Bestand die Ehe zum Zeitpunkt des Erbfalles noch, sind also alle während der Ehezeit gemachten Schenkungen relevant.

Pflicht- und Anstandsschenkungen unterliegen dem Pflichtteilsergänzungsanspruch jedoch nicht. Unter Anstandsschenkungen versteht man dabei übliche Gelegenheitsgeschenke, die z.B. zu Geburtstagen oder Weihnachten entsprechend den Lebensverhältnissen des Erblassers getätigt wurden. Pflichtschenkungen sind Schenkungen, deren Unterlassen den Erblasser als Verletzung der für ihn bestehenden gesetzlichen Pflicht zur Last zu legen wäre.

Hingegen unterfallen sogenannte gemischte Schenkungen der Ergänzungspflicht. Hierunter versteht man Vermögensübertragungen, bei denen der Empfänger eine Gegenleistung erbringt, die deutlich hinter dem Wert des übertragenen Vermögensgegenstandes zurückbleibt und dies von den Beteiligten so auch gewollt ist. Hier bildet der unentgeltliche Teil der gemischten Schenkung die Bemessensgrundlage für den Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Beschenkter kann auch der Pflichtteilsberechtigte selbst sein. Er muss sich den Wert des erhaltenen Geschenks jedoch auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen.

 

Die Verjährung der Pflichtteilsansprüche.

Die regelmäßige Verjährung des Pflichtteilsanspruchs und des Pflichtteilsergänzungsanspruchs beträgt 3 Jahre und beginnt dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte von dem Eintritt des Erbfalls und von der ihn beeinträchtigenden Verfügung des Erblassers Kenntnis erlangt.

Es ist deshalb in jedem Falle erforderlich, dass der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch beizeiten verfolgt.

Da das Pflichtteilsrecht – wie dieser Beitrag gezeigt haben dürfte – eine schwierige und komplexe Materie darstellt, ist rechtzeitig fachkompetenter Rat einzuholen.

Rechtsanwalt Claudius Keller ist als Mitarbeiter in der Rechtsanwaltssozietät Dingeldein & Kollegen, Bachgasse 1, 64404 Bickenbach, insbesondere im  Familien-, Erb- und Vertragsgestaltungsrecht tätig.

Stand: April 2002




Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.



 
     
   
www.dingeldein.de -