Vertragsgestaltung – Die „Individualabrede“

I. Allgemeines

Verbindliche Vertragsbedingungen, die von einer Vertragspartei für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und gegenüber der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages gestellt werden, sind in den heutigen Verträgen weit verbreitet. So praktisch Standardklauseln auch sind, um immer wieder vorkommende Vertragskonditionen eindeutig zu regeln, ist doch zu beachten, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) den strengen Inhaltsschranken der §§ 307 ff BGB und somit einer richterlichen Kontrolle unterworfen sind, da allein der Verwender für die vorformulierten Regelungen die Freiheit der inhaltlicher Gestaltung in Anspruch nimmt. Hiervon sind alle Arten von Verträgen, auch Arbeitsverträge, betroffen.

Die Individualabrede bietet dagegen die Möglichkeit, die strengen Kontrollen zu umgehen. Soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien im Einzelnen ausgehandelt werden, sind die §§ 307 ff BGB unanwendbar, da individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben.

Es kann genügen, wenn der Vertrag Leerstellen enthält und der Vertragspartner die entsprechenden Angaben einfügt. Doch hier ist Vorsicht geboten! Erforderlich ist, dass die Ergänzungen nicht lediglich unselbständiger Art bleiben. Das Einfügen von Namen, Bezeichnungen des Vertragsobjekts oder der Beginn eines befristeten Arbeitsverhältnisses reichen z.B. nicht aus, den Vertrag als Individualabrede einzustufen. Die vervollständigenden Angaben müssen vielmehr den Regelungsgehalt mitbestimmen (Bsp.: Festlegung der Vertragslaufzeit oder einer Vertragsstrafe). Doch auch hier ist zu unterscheiden: Wenn der Vertrag offene Stellen enthält, die vom Vertragspartner nach seiner freien Entscheidung selbständig auszufüllen sind, ohne dass vom Verwender konkret vorformulierte Entscheidungsvorschläge hinzugefügt wurden, stellt der Vertragsteil keine Allgemeine Geschäftsbedingung sondern eine Individualabrede dar. Soweit jedoch Wahlmöglichkeiten vorgesehen werden, darf kein vorformulierter Vorschlag hinzugefügt sein, der durch die Gestaltung des Formulars im Vordergrund steht und die eigentliche Wahlmöglichkeit überlagert. Dem durchschnittlichen Vertragspartner muss ausreichend verdeutlicht werden, dass er ohne Rücksicht auf die Vorgaben des Verwenders die Vertragsbedingung frei wählen kann. Für eine Individualvereinbarung genügt es daher nicht, dass der Text zu Änderungen und Streichungen auffordert.

Die Wahlfreiheit des Vertragspartners darf weder durch die Gestaltung des Formulars noch in der Art beeinflusst werden, dass der Verwender seinen Vertretern eine bestimmte Formulierung vorgibt und sie dazu anhält, diese bei allen Vertragsabschlüssen durchzusetzen, indem sie dem Vertragspartner nahe legen den Text ohne individuelles Aushandeln entsprechend zu ergänzen.

Der Verwender muss nämlich zu Verhandlungen über den gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB bereit sein. Seine Verhandlungsbereitschaft muss dem Vertragspartner gegenüber unzweideutig erklärt werden und der Inhalt muss ernsthaft zur Disposition gestellt werden, um dem anderen Teil seine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einzuräumen. Der Vertragspartner muss die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Wer angeblich immer verhandlungsbereit ist, tatsächlich aber nie etwas ändert, kann sich nicht auf das Vorliegen einer Individualvereinbarung berufen.

Eine vom Vertragspartner besonders unterschriebene Erklärung, der Vertragsinhalt sei in allen Einzelheiten ausgehandelt oder ein ausdrückliches Einverständnis nach einem Hinweis auf die Klauseln, kann wirkliches Aushandeln nicht ersetzen und ist unwirksam.

Auch das Aushandeln einzelner Vertragsbedingungen ändert grundsätzlich nichts daran, dass die übrigen AGB bleiben, es ermöglicht jedoch von gesetzlichen Regelungen abzuweichen und die Anwendbarkeit der Schutzregelungen auszuschließen. Sowohl bei der Erstellung von AGB, als auch bei der Verwendung von Individualvereinbarungen sollte auf eine anwaltliche Beratung jedoch nicht verzichtet werden.

Rechtsreferendarin Sandra Westermann, Kanzleien Dingeldein • Rechtsanwälte,
Bickenbach, Gernsheim, Groß-Umstadt

 
     
   
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